Warum die Anwohner des Anzuchtgartens nicht ausschließlich gegen den zweiten Bauabschnitt der geplanten Unterkunft klagen konnten

29 November 2015

Insbesondere nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Hamburg vom 28. Oktober 2015, durch den die Bauarbeiten auf dem ehemaligen Anzuchtgarten des Ohlsdorfer Friedhofs gestoppt wurden, haben einige Bewohner von Klein Borstel ihr Unverständnis darüber geäußert, warum die Kläger nicht ausschließlich gegen den geplanten zweiten Bauabschnitt der Flüchtlingsunterkunft geklagt haben. So hätten doch bereits die ersten 250 Flüchtlinge im Winter einziehen können. Wir von Lebenswertes Klein Borstel sind der Ansicht, dass es wichtig ist, diesen Einwand aufzugreifen und den Sachverhalt aufzuklären:

Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) plant die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des Anzuchtgartens auf der Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, des sogenannten Polizeirechts, für 700 Flüchtlinge. Vorgesehen ist dabei die Errichtung von Modulhäusern in zwei Bauabschnitten. Im ersten Bauabschnitt soll zunächst die vordere Reihe der Häuser zum Erna-Stahl-Ring hin für 250 Flüchtlinge errichtet werden. Im zweiten Bauabschnitt ist dann die Bebauung der hinteren Reihe für weitere 450 Flüchtlinge geplant. Eine Baugenehmigung wurde nicht beantragt und lag daher nicht vor.

Vor Erhebung der Klage haben die Anwohner mehrfach versucht, mit der BASFI bzw. den dortigen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen. Ziel dabei war es zu erreichen, dass die direkten Nachbarn in die konkreten Planungen zur Anzahl der unterzubringenden Flüchtlinge, zur Gestaltung der Unterkunft und insbesondere zur Erschließung nur über den Erna-Stahl-Ring einbezogen werden. Leider wurden alle Initiativen der Anwohner in diese Richtung zum Teil mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt bzw. überhaupt nicht beantwortet. Vielmehr begann die Stadt, anstatt den Dialog mit den Anwohnern zu suchen und Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, unmittelbar nach einer allgemeinen Informationsveranstaltung am 15. September 2015 mit den Bauarbeiten.

Aufgrund dieses Vorgehens der Stadt, eröffnete der Rechtsstaat den betroffenen Anwohner nur einen Weg: Wer mit der geplanten Bebauung auf dem Nachbargrundstück nicht einverstanden ist, dem steht nach dem Baurecht nur die Möglichkeit zu, sein sogenanntes Abwehrrecht geltend zu machen. Dies ist in der Regel die Anfechtungsklage gegen die erteilte Baugenehmigung, die dem geplanten Bauvorhaben zugrunde liegt. In diesem Rechtsstreit wird dann geprüft, ob die erteilte Baugenehmigung rechtmäßig ist, d. h. ob sogenannte drittschützende Rechte verletzt werden.

Wurde aber – wie hier – gar keine Baugenehmigung erteilt, so kann der Nachbar im Falle begonnener Bauarbeiten nur im sogenannten Eilrechtsschutz nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgehen. Im dort geregelten einstweiligen Verfügungsverfahren wird dann geprüft, ob das geplante bzw. bereits im Fortschritt befindliche Bauvorhaben subjektive (drittschützende) Vorschriften des Bauplanungsrechts bzw. des übrigen einfachgesetzlichen Baurechts des Nachbarn verletzt, sodass dieser die geplante Unterkunft nicht dulden muss. Werden diese Rechte verletzt – und dies wurde im konkreten Beschluss des VG Hamburg sehr sorgfältig und ausführlich begründet –, so sind die Baumaßnahmen einzustellen.

Was kann nun ein Nachbar machen, der zwar an sich nichts gegen die Bebauung auf dem Nachbargrundstück einzuwenden hat, der aber deren Ausmaß bzw. Ausgestaltung als übermäßig empfindet? Auch hier hat der Nachbar aufgrund der geltenden gesetzlichen Regelungen ausschließlich die Möglichkeit, gegen das gesamte Bauvorhaben vorgehen. Ein sogenanntes einklagbares Gestaltungsrecht sieht das baurechtliche Verfahrensrecht leider nicht vor.

Ein Beispiel: Plant der Eigentümer auf seinem Grundstück ein fünfstöckiges Gebäude, der Nachbar hält aber nur ein dreistöckiges Gebäude für rechtmäßig, so kann er sein bestehendes Abwehrrecht im Wege einer Klage bzw. eines einstweiligen Verfügungsverfahren nur gegen das geplante fünfstöckige Gebäude durchsetzen. Eine Gestaltungsklage, die darauf abhebt, dass nur ein dreistöckiges Gebäude rechtmäßig ist und gebaut werden darf, steht ihm nicht zur Verfügung. Im Fall von Klein Borstel heißt das: Eine Möglichkeit der Anwohner, nur gegen den zweiten Bauabschnitt der geplanten Flüchtlingsunterkunft zu klagen, besteht und bestand daher nicht. Allein durch die Geltendmachung des Abwehrrechts können die Kläger also möglicherweise erreichen, dass die BASFI in (Vergleichs-)Gespräche mit ihnen eintritt. Die Tatsache, dass das VG Hamburg die rechtliche Position der Kläger in der ersten Instanz bestätigte, hat leider jedoch bislang nicht dazu geführt, dass solche Gespräche seitens der BASFI angeboten wurden. Im Gegenteil: Alle Dialogangebote der Kläger wurden abgelehnt.