1991 hatte sich der Hamburger Senat unter dem damaligen Ersten Bürgermeister Henning Voscherau zum Ziel gesetzt, in der laufenden Wahlperiode 20.800 neue Wohnungen (d.h.jährlich 5.200 WE) auf den Weg zu bringen.
Voscherau (früher wohnhaft im benachbarten Hoheneichen) verkündete optimistisch, entsprechende im Flächennutzungsplan ausgewiesene Wohnbau-Flächen, um das Programm durchzuführen, stünden zur Verfügung. Sein damaliger Referent für Stadtentwicklung (wohnhaft in Klein Borstel), warnte hingegen davor, dass für ausgewiesene Flächen noch keine Bebauungspläne bestünden, was die Umsetzung in der Regel um 3-5 Jahre verzögere. Zudem kollidiere der Wohnungsbau auf vielen der im Jahr 1973 ausgewiesenen Flächen mittlerweile mit dem Umweltschutz.
Hintergrund waren offensichtlich fehlende Vorgaben der seinerzeit für die Stadtentwicklung zuständigen Baubehörde, in welcher Form das Programm der 5.200 neuen Wohnungen p.a. umgesetzt werden solle, so dass keinerlei planrechtliche Vorbereitungen in Form notwendiger Bebauungspläne eingeleitet waren.
Darüber hinaus müssten für den nach der laufenden Wahlperiode langfristig erforderlichen Wohnungsbau auch Flächen in Anspruch genommen werden, die bisher nicht als Wohnbauflächen ausgewiesen waren und jetzt brachlägen und zukünftig für den Wohnungsbau in Frage kämen. Darunter war unter anderen auch der Anzuchtgarten des Ohlsdorfer Friedhofs genannt (Hamburger Abendblatt vom 16./17.11.1991).
In den Folgejahren wurde die Planung konkretisiert. In der Baubehörde wurde vom damaligen Wohnungsbaubeauftragten eine geplante Erschließung des gesamten Anzuchtgartens und der Kleingartenflächen (ausschließlich in Abstimmung mit der Umweltbehörde) vorangetrieben. Als die fertige Planung im Senat vorgestellt wurde, monierte der Erste Bürgermeister Voscherau die fehlende Abstimmung mit anderen einzubeziehenden Behörden und örtlichen Dienststellen. Die Planung wurde in Folge dessen von ihm gestoppt. Das Thema Anzuchtgarten wurde in Voscheraus Amtszeit nicht mehr angefasst.
Ende 1997 wurde Ortwin Runde Erster Bürgermeister. 1998 wird die Planung für den Anzuchtgarten von der nunmehr existierenden Hamburger Stadtentwicklungsbehörde unter Senator Dr. Maier erneut aufgenommen. Es werden 3 Gebiete unterschieden:
Anzuchtgarten (heute Neubaugebiet), Kleingärten (westlicher Teil, heute noch Kleingärten) sowie Betriebsstätten (heute Am Anzuchtgarten). Insgesamt ist eine Fläche für 450 Wohneinheiten im Gespräch, auf Vorschlag von Senator Dr. Maier werden unter Verzicht auf die Kleingartenflächen nur 320 WE vorgesehen.
Es werden bereits zu diesem Zeitpunkt Probleme bei der Infrastruktur genannt: Es sei mit 2.000 zusätzlichen Fahrten pro Tag zu rechnen, zudem sei die Schule bereits überfüllt. Umweltsenator Porschke (Grüne) setzte sich damals vehement für eine stärkere Bürgerbeteiligung ein.
Bürgermeister Runde stellte am 4.3.1999 dazu fest, „die Lagegunst der Anzuchtgartenfläche im 600 m-Radius zu einer Schnellbahnstation sowie die gesamtstädtische Aufgabe, den Abwanderungstrend aus der Stadt HH (mit einem jährlichen negativen Saldo von rund 9.000 Personen) einzudämmen, begründe eine Bereitstellung von Wohnbauflächen an diesem Standort. … Hinsichtlich der Bedarfsbegründung solle auf die bei der Liegenschaft vorliegenden Bewerbungen für städtische Einfamilienhausgrundstücke zurückgegriffen werden. Im Rahmen der weiteren Erschließungsplanung sei auch über eine westliche Anbindung nachzudenken. {an den Kleingärten vorbei direkt zum Alstertalspielplatz, dazu hätte ein Kleingärtner umgesiedelt werden müssen – Anm. d. Red.}. Hinsichtlich der Schulversorgung solle auf der Basis aktueller Zahlen die Entwicklung in den nächsten ca. 4-6 Jahren herausgearbeitet werden.“
3.10.1998: Die Bürger Klein Borstels und der Kleingärten erfahren von den neuerlichen Plänen der Bebauung des Anzuchtgartens und organisieren ein erstes Treffen mit Politikern auf Bezirks- und Bürgerschaftsebene. Aus dieser Bewegung heraus wird Anfang 1999 die Initiative „Rettet den Ohlsdorfer Friedhof“ gegründet.
In 1998/99 hat der o.g. ehemalige Stadtentwicklungsreferent von Bürgermeister Voscherau und Anwohner Klein Borstels gemeinsam mit einem benachbarten Architekten aus privatem Interesse eine Modellrechnung zur vorhandenen Bebauungsdichte in Klein Borstel erstellt, um diese ggf. auf das Neubaugebiet übertragen zu können. Würde die für Klein Borstel untypische Bebauungsdichte der Frank’schen Siedlung zugrunde gelegt, so könnten 430-460 Wohneinheiten geschaffen werden. Legte man aber eine für die Bebauung in Klein Borstel typische durchschnittliche Bebauungsdichte zugrunde (errechnet wurde durchschnittlich 410 qm je Grundstück), so ergeben sich die folgenden Werte:
– Anzuchtgarten 9,36 ha: 230 Wohneinheiten
– Anzuchtgarten und Betriebsgelände Am Anzuchtgarten 11,36 ha: 280 Wohneinheiten
– Anzuchtgarten, Betriebsgelände sowie Kleingärten 13,76 ha: 335 Wohneinheiten
Empfehlung: „Bis zu maximal 250 Wohneinheiten als Einzel- Doppel- und/oder Reihenhäuser in 2-geschossiger Bauweise und bei zusätzlich ausgebautem Dachgeschoss mit jeweils einer Gesamt-Bruttogeschossfläche von bis zu 200 qm BGF.“
September 1999: Ausschreibung für einen Städtebaulichen Wettbewerb “Wohnquartier Kornweg” sieht „mindestens 250“ Wohneinheiten vor:
S. 6 letzter Absatz: „Durch das Wettbewerbsverfahren sucht HH Lösungen für ein qualitätsvolles Wohnquartier. Ziel ist die Entwicklung von Alternativen zum klassischen Einfamilienhaus insbesondere für das Wohnen mit Kindern unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte als Beispiel eines Projektes der nachhaltigen Stadtentwicklung.“
S. 17 vorletzter Absatz: „…Erschlossen wird es (das neue Wohngebiet) über die Straße Kleine Horst, die durch zwei S-Bahn-Damm-Unterführungen in das Gebiet führt.“ —> Also war ursprünglich die Erschließung über Kleine Horst geplant, die beim Alstertalspielplatz startet und an den Kleingärten vorbei führt.
7. Februar 2000: Nicht einer sondern zwei eingereichte Vorschläge erhalten den Zuschlag und die Maßgabe, sich miteinander abzustimmen.
13. Oktober 1999: Es findet ein Kolloquium zur Ausschreibung statt, bei dem den teilnehmenden Architekten seitens der Behörde Fragen beantwortet werden. Die Frage nach der weiteren Nutzung des ehemaligen Betriebsgeländes „Am Anzuchtgarten“ wird wie folgt beantwortet: „Der verbleibende Teil der Gärtnerei wird langfristig als Friedhofsgärtnerei gesichert und steht für eine weitere Überplanung nicht zur Verfügung.“
11. Juli 2000: Bürgerbewegung Klein Borstel „Rettet den Ohlsdorfer Friedhof“ sammelt Geld für eine gerichtliche Überprüfung eines Bebauungsplans. Begründung: 1.000 zu erwartende Neubürger stünden in keinem Verhältnis zu den 3.000 Altbürgern Klein Borstels. Untypischer „Geschoss-Wohnungsbau“ wäre erforderlich um diese Anzahl Menschen unterzubringen. Die erforderlichen 20.000 DM kommen nicht zusammen und die Bürgerbewegung hat den Bebauungsplan gerichtlich nicht mehr angefochten.
9.8.2001: Nach dem Zuschlag für zwei Wettbewerbsteilnehmer werden eine Reihe von Bedenken seitens der Klein Borsteler vorgebracht, finden aber in der Politik keinen Wiederklang. Im Sommer 2001 steht der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Hesse eine Schriftliche Kleine Anfrage (SKA), in der nach dem Planungsstand diverser Punkte gefragt wird. (Link http://www.juramagazin.de/152789.html)
Die Einwände der Klein Borsteler, 250 Wohneinheiten seien zu viel und belasten die Infrastruktur zu stark, werden von der Behörde nicht gehört. Die Behörde bezeichnet die eigene Planung als angemessen.
Das Ergebnis der Ausschreibung wurde als Grundlage für die folgenden politischen Schritte herangezogen:
2004: Änderung des Flächennutzungsplans sowie des Landschaftsprogramms einschließlich des Arten- und Biotopschutzprogramms
– Im Flächennutzungsplan werden ehemalige „Grünflächen” mit dem Symbol „Friedhof” in „Wohnbauflächen” und „Grünflächen” geändert.
– Im Landschaftsprogramm wird das Milieu „Friedhof“ in „Gartenbezogenes Wohnen mit Grünqualität sichern” parkartig geändert.
– Im Arten und Biotopschutzprogramm wird der „Biotopentwicklungsraum Friedhof“ in Biotopentwicklungsraum Offene Wohnbebauung mit artenreichen Biotopelementen“ geändert.
– Der gesamte Bereich ist mit der Überlagernden Darstellung „parkartige Strukturen“ versehen.
Der Ohlsdorfer Parkfriedhof ist der weltweit größte Parkfriedhof mit einer Fläche von 391 ha. Vor der Bebauung des Anzuchtgartens (9,36 ha) betrug die Fläche 400-410 ha (je nach Quelle).
Die Initiative „Rettet den Friedhof“ wollte die ursprüngliche Ausdehnung des Ohlsdorfer Friedhofs sichern und strebte daher parallel zum Widerstand gegen die Baupläne auch eine Aufnahme des Ohlsdorfer Friedhofs als Weltkulturerbe an.
Für einen Widerstand gegen das Bebauungsplanverfahren wurde seitens der Initiative ein „Normenkontrollverfahren“ angestrebt. Begründung: 1.000 zu erwartende Neubürger stünden in keinem Verhältnis zu den 3.000 Altbürgern Klein Borstels. Untypischer „Geschoss-Wohnungsbau“ wäre erforderlich um diese Anzahl Menschen unterzubringen. Jedoch konnten die dafür erforderlichen ca. 10.000€ zunächst nicht aufgebracht werden.
In den Jahren 2000 bis 2008 tagte die Initiative wöchentlich, verfasste Beiträge für den „Klein Borsteler“, demonstrierte und sammelte Unterlagen, die eine Aufnahme des Ohlsdorfer Friedhofs als Weltkulturerbe unterstützte. Zudem wurden die erforderlichen 10.000€ für das Normenkontrollverfahren eingesammelt. Doch diese Unterfangen scheiterten letztlich, auch eine Aufnahme als Weltkulturerbe wurde abgelehnt.
9. April 2005: Der Bebauungsplan „Ohlsdorf 12” tritt in Kraft.
2006: Beginn der Bauarbeiten.
2. Mai 2008: Das Normenkontrollverfahren der Bürgerinitiative, das gegen den neuen Bebauungsplan eingeleitet worden war, ging vor Gericht verloren, so dass der Weg für „Ohlsdorf 12“ frei war.
22. September 2011: Bezirksamtsleiter Wolfgang Koptisch und Martina Lütjens (CDU) erklären die Bauarbeiten am Neubaugebiet für erfolgreich abgeschlossen.
Um die Brücke zur heutigen Auseinandersetzung zur Bebauung des Geländes „Am Anzuchtgarten“ zu schlagen, lässt sich aus der Erfahrung leider nur ableiten, dass eine Initiative ohne Erfolg vor Gericht keinerlei politischen Einfluss hat. Traurig aber wahr.
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Der im Jahre 1999 von der Behörde für Stadtentwicklung ausgelobte städtebaulich / landschaftsplanerische Realisierungwettbewerb für das “Wohnquartier Kornweg” gilt als planerische Grundlage für das heutige Neubaugebiet.
Hier finden Sie eine Sammlung verschiedener Links zu Artikeln und Beiträgen über das “Wohnquartier Kornweg” und das heutige Neubaugebiet.
Projekt Ohlsdorf 127 Entwuerfe aber kein Sieger
Hamburger Abendblatt – 08.02.2000
Gespannte Stille in den Ausstellungsräumen der Stadtentwicklungsbehörde (Steb) an der Bramfelder Straße. Eigentlich wollte Oberbaudirektor Jörn Walter den Sieger für das Wohnprojekt am Kornweg (Ohlsdorf) bekannt geben, dann gab es eine Überraschung. Das Preisgericht konnte sich am vergangenen Donnerstag nur auf zwei Zweitgewinner einigen, der endgültige Entwurf steht damit immer noch nicht fest. Mehr…
Wettbewerb „Wohnquartier Kornweg“ in Hamburg entschieden
Baunetz – 05.04.2000
Die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde (STEB) gab am 5. April 2000 das Ergebnis des im September 1999 ausgelobten städtebaulich-landschaftsplanerischen Realisierungswettbewerbes „Wohnquartier Kornweg” bekannt. Mehr…
Wohnquartiere Kornweg
Preisgewinner – ams Architekten
Der 2. Preis eines offenen städtebaulichen Wettbewerbs im Jahr 2000 wurde Grundlage des Funktions- und Bebauungsplanes im Wohnquartier. 5 Jahre später wurde ein hochbaulicher Wettbewerb für Wohnen in Baugruppen ausgelobt. Mehr…
Die Kleine Horst – ein neues Zuhause in Klein Borstel
Hamburg.de/Bezirk Hamburg-Nord – 22.09.2011
Das Wettbewerbsergebnis im Jahre 2000 erbrachte erste architektonische Vorstellungen über die Bebauung. 2001 wurde ein Verkehrsgutachten beauftragt. Die Erschließung der später 234 Wohneinheiten wurde über einen Kreisel von der Stübeheide/Schluchtweg konzipiert. Der Bebauungsplan Ohlsdorf 12 trat am 09. April 2005 in Kraft. Vorhandene Kleingärten wurden umgesiedelt. Die Normenkontrollklage einer Bürgerinitiative gegen das Planverfahren blieb erfolglos. Mehr…
Hier finden Sie eine Sammlung verschiedener Links rund um das Thema Anzuchtgarten. Urteile, Klageschriften, kleine Anfragen ect.
Bezirk Nord beriet B-Plan für Wohngebiet in Klein Borstel – aufgebrachte Anwohner protestierten.
Hamburger Abendblatt – 29.06.2001
Neue Runde im Streit um die Bebauung von Teilen des Ohlsdorfer Friedhofes: Der Senat will mit dem Plan “Kleine Horst” ein Prestige-Wohngebiet im Grünen aus dem Boden stampfen. Die Anwohner werfen dem Senat vor, mit dem Millionenerlös die Kasse füllen zu wollen.Mehr…
Schriftliche Kleine Anfrage der CDU vom 09.08.01 und Antwort des Senats zur Bebauung auf dem Gelände der Friedhofsgärtnerei in Klein Borstel
Juramagazin.de – 09.08.2001
“Das Verhältnis von Reihen- und Doppelhäusern zu Geschoßwohnungsbau wurde während der Planung zugunsten der Reihen- und Doppelhäuser geändert. Zusammen mit Maisonnettewohnungen, Stadtvillen mit nur drei Wohneinheiten und möglichen anderen Formen des verdichteten Eigentumbaus (gestapelte Einfamilienwohnformen) ist das Konzept geeignet, abwanderungswillige Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Hamburg zu halten. Die endgültige Mischung von Wohnformen für unterschiedliche Nutzergruppen wird erst im Rahmen von Bauträger-/Architektenwettbewerben nach der öffentlichen Auslegung festgelegt. Mehr…
Beschluss der Bezirksversammlung über die Änderung des Flächennutzungsplans und des Landschaftsprogramms einschließlich Arten und Biotopschutzprogramm
Juramagazin.de – 06.09.2004
Flächennutzungsplan sind für die beabsichtigte Nutzungsänderung „Grünflächen” mit dem Symbol „Friedhof” in „Wohnbauflächen” und „Grünflächen” zu ändern. Das Gebiet der Flächennutzungsplanänderung umfasst eine Fläche von etwa 9,8 ha.
1. Grundlage und Verfahrensablauf Grundlage der Änderung des Landschaftsprogramms einschließlich Arten- und Biotopschutzprogramm für die Freie und Hansestadt Hamburg vom 14. Juli 1997 (HmbGVBl. S. 363) ist das Hamburgische Naturschutzgesetz in der Fassung vom 7. August 2001 (HmbGVBl. S. 281), zuletzt geändert am 6. September 2004 (HmbGVBl. S. 356). Mehr…
Bürgerinitiative scheitert im Friedhofs-Streit
Die Welt – 02.05.2008
Seit Jahren schwelt zwischen den Bürgern in Klein-Borstel und der Stadt ein juristischer Streit über ein Wohnungsbauprojekt auf dem Gelände des “Anzuchtgartens”. Zunächst waren auf dem neun Hektar großen Areal, das sich im Besitz der Hansestadt befindet, Häuser mit rund 450 Wohnungen geplant. Vor allem Familien mit Kindern sollten hier einziehen. Nachdem das Bezirksamt den Bebauungsplan für nur noch 220 Wohnungen und die Bürgerschaft eine Änderung des Flächennutzungsplanes verabschiedet hatten, begannen die Bauarbeiten. Weil sie immer weiter vorangeschritten waren, hatte das Oberverwaltungsgericht mitgeteilt, es werde die Rechtssache mit dem Aktenzeichen 2 E 4/05 N als vordringlich behandeln. Am 30. April fand die öffentliche Verhandlung statt. Mehr…