Ende des Rechtsstreits vor dem Oberverwaltungsgericht – warum?
23 Dezember 2015Bekanntlich sind einige Anwohner gegen die Planung der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Soziales, Arbeiter, Familie und Integration (BASFI) gerichtlich vorgegangen, die auf der Grundlage von Polizeirecht ohne Beteiligung der Anwohner eine Flüchtlingsunterkunft für 700 Personen auf dem Gelände Am Anzuchtgarten errichten möchte. Nachdem das Verwaltungsgericht am 28. Oktober 2015 einen Baustopp gegen die Errichtung der Flüchtlingsunterkunft am Anzuchtgarten verhängt hatte, hatte die BASFI Beschwerde eingelegt. Es wurde zunächst damit gerechnet, dass eine Sachentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in dem Beschwerdeverfahren noch vor Weihnachten ergeht.
Allerdings wird dies nicht geschehen. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2015 hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg das Verfahren eingestellt und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
Hintergrund dieser Entscheidung ist der Umstand, dass das Bezirksamt Hamburg-Nord am 7. Dezember 2015 eine Baugenehmigung erteilt hat (natürlich wieder ohne Beteiligung der Anwohner). Diese Baugenehmigung stellt eine neue und vorrangig zu prüfende Erlaubnis für die Errichtung der Flüchtlingsunterkunft dar. Das Oberverwaltungsgericht hat den Parteien daher nahegelegt, das Beschwerdeverfahren für erledigt zu erklären, was diese getan haben.
Lebenswertes Klein Borstel e.V. sind im Zusammenhang mit dieser Entscheidung die folgenden Feststellungen wichtig:
- Das Oberverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 21. Dezember 2015 ausdrücklich festgehalten, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens offen war. Es ist also keine Vorabentscheidung über die Frage gefallen, ob es für die BASFI möglich ist, auf der Grundlage von Polizeirecht Flüchtlingsunterkünfte zu errichten.
- Das Bezirksamt Hamburg-Nord hat nunmehr zumindest teilweise das getan, was Lebenswertes Klein Borstel e.V. schon lange fordert: Nämlich den Verzicht auf Polizeirecht und die Anwendung des „normalen“ Baurechts. Allerdings ist es bedenklich (und wird Gegenstand eines weiteren gerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht sein), dass die Stadt erneut gehandelt hat, ohne die Anwohner zu beteiligen.
- Die Stadt hat mit der Erteilung der Baugenehmigung ihre gesamte Argumentation zur Notwendigkeit der Anwendung von Polizeirecht selbst widerlegt. Denn die nunmehr erteilte Baugenehmigung zeigt, dass es durchaus möglich ist, den vom Baurecht vorgegebenen Weg zu nutzen. Zwar bedurfte es daher im Fall Klein Bortels erst gehörigen „Trittes“ des Verwaltungsgerichts. Allerdings hat dieser „Tritt“ zumindest eines bewirkt: Zwischen dem Antrag und der Erteilung der Baugenehmigung lag ein Zeitraum von weniger als vier Wochen. Bislang konnte uns keiner erklären, weshalb dies nicht bereits im August möglich gewesen sein soll.
- Die Stadt hat vermutlich selbst kein Interesse daran, eine Entscheidung zur Frage der Rechtsmäßigkeit des polizeirechtlichen Vorgehens zu erhalten. Um dies zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass die Stadt auf der Grundlage einer Zwischenverfügung des Oberverwaltungsgerichts Tiefbauarbeiten ausführen durfte. Dies tat und tut sie auch fleißig. Allerdings werden diese Tiefbauarbeiten angesichts des Baufortschritts noch andauern. Es wäre für die Stadt daher – so zumindest unsere Außenwahrnehmung von den Vorgängen auf der Baustelle – ohne weiteres möglich gewesen, mit der Erteilung der Baugenehmigung noch abzuwarten, bis eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ergangen war. Es hätte nicht einen Tag Verzögerung der Bauarbeiten bedeutet. Wenn diese Prämisse aber stimmt, so gibt es nur zwei denkbare Erklärungen: Entweder, die Stadt „schießt aus allen Rohren“ und dabei weiß die rechte Hand (BASFI) nicht, was die linke Hand (Bezirksamt Hamburg-Nord) tut. Oder aber, die Stadt wollte das Risiko einer für sie negativen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zur Frage der Zulässigkeit des polizeirechtlichen Vorgehens vermeiden und hat daher das Baugenehmigungsverfahren mit einer solchen Vehemenz (und ohne Bürgerbeteiligung) vorangetrieben. Für Lebenswertes Klein Borstel e.V. ist das Vorgehen der Stadt so oder so eine Enttäuschung. Aus unserer Sicht wäre eine schnelle Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit eines polizeirechtlichen Vorgehens wünschenswert gewesen.
Die Antragsteller gehen inzwischen auch gegen die Baugenehmigung gerichtlich vor und haben beim Verwaltungsgericht Hamburg einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gestellt. Es ist ein gewisses deja vu. Zu verantworten ist diese Verzögerung einer Klärung der Rechtslage nach unserer Auffassung aber allein von der Stadt.
Und die Stadt baut weiter „auf eigenes Risiko“, weil sie ihr Vorgehen auf eine nicht bestandskräftige Baugenehmigung stützt.