Bauplanungsrecht maßvoll und mit Augenmaß weiterentwickeln
30 September 2015Es ist sicher vielen bekannt, dass auf Bundesebene derzeit ein Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens (BT-Drs. 18/6185) vorbereitet wird. Weniger bekannt ist wahrscheinlich, dass in dem Regierungsentwurf auch Vorschläge zur Änderung des Baurechts enthalten sind.
Diese schießen unserer Ansicht nach weit über das Ziel hinaus, so soll z.B. gem. § 246 Abs. 11 RegE-BauGB die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften auch in reinen Wohngebieten möglich sein. Gem. § 246 Abs. 14 RegE-BauGB soll eine pauschale Abweichung vom Baurecht zulässig sein.
Wir verstehen das dahinterstehende Anliegen, vor dem Winter schnell Wohnraum zu schaffen. Weitere Einschnitte beim Bauplanungsrecht bergen jedoch die erhebliche Gefahr, Massenunterkünfte an Orten zu schaffen, die eine gelungene Integration unmöglich machen. Die in Klein-Borstel „Am Anzuchtgarten“ geplante Flüchtlingsunterkunft für 700 Personen in einem Ortskern mit ca. 3.700 Einwohnern ist keinesfalls gebiets- und sozialverträglich. Auch in anderen Teilen Hamburgs und Deutschlands werden derzeit Massenunterkünfte errichtet, die langfristig zu großen Problemen führen werden. Standorte, an denen man auch nach dem derzeitigen Baurecht kleine, integrationsfördernde Einrichtungen schaffen könnte, werden in Hamburg derzeit gar nicht mehr geprüft.
Vor diesem Hintergrund kann man die Bedeutung des Bauplanungsrechts für eine gelungene Integration nicht überbetonen. Und genau deshalb sollte das Bauplanungsrecht auch in Zeiten der Krise nicht zu weit aufgeweicht werden. Denn es hilft nicht, immer größere Einrichtungen an jedem denkbaren Ort zu errichten – ohne Rücksicht auf die berechtigten Belange der Anwohner. Vielmehr gilt es, „Spannungen zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen so weit wie irgend möglich zu vermeiden.“ Nur so wird sichergestellt, dass „Engagement und Hilfe auch dann anhalten, wenn die Euphorie des ersten Helfens verfolgen ist.“ (Bundespräsident Joachim Gauck, Rede zum Auftakt der 40. Interkulturellen Woche)
Deshalb sollten die Forderungen der Länder nach einer immer weitergehenden Aufweichung des Bauplanungsrechts nicht ungeprüft umgesetzt werden. Denn die Folgen dieser Fehlentwicklung des Baurechts werden wir alle zu tragen haben. Hier kann man wieder den Bundespräsidenten zitieren:
„Gute Integration heißt, frühere Fehler zu vermeiden.“
Denn sämtliche Folgeprobleme, die durch die derzeit geplanten Massenunterkünften entstehen, sind (1) voraussehbar und (2) hausgemacht. Und das werden früher oder später auch die Politiker zu spüren bekommen, die ihre Einrichtung ermöglicht haben.
Lebenswertes Klein-Borstel tritt deshalb dafür ein, die Änderungen im Baurecht auf ein vertretbares Maß zu beschränken. Damit ist gemeint:
- keine unverhältnismäßig großen Flüchtlingsunterkünfte in reinen und allgemeinen Wohngebieten
- Einschränkung der Ausnahmevorschriften auf ein gebietsverträgliches Maß der Bebauung
- Klarere zeitliche Befristung mit gesetzlicher Verpflichtung zum Rückbau
- Fokussierung auf kleine Einheiten, die eine langfristige Integration auf der Grundlage des bestehenden Bauplanungsrechts ermöglichen
Insbes. dürften die Ländern keinen „Freifahrtschein“ erhalten, wie derzeit in § 246 Abs. 14 RegE-BauBG vorgesehen. Es müssen im Bundesrecht wesentlich konkretere Rahmenbedingungen vorgegeben werden.
Das für Flüchtlingsunterkünfte geltend Bauplanungsrecht wurde – auf Initiative Hamburgs – bereits Ende 2014 schon einmal geändert. Damals sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Schwarzelühr-Sutter: „Wir sollten im Übrigen nicht vergessen, dass die kommunale Bauleitplanung mit ihrer Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung die Chance bietet, etwaigen Vorbehalten in der Nachbarschaft aktiv zu begegnen. Bauleitplanung ist auch kommunale Integrationspolitik.“(Quelle: Bundesrat, Stenographischer Bericht 925. Sitzung, 19. September 2014, S. 284).
Lebenswertes Klein-Borstel stimmt dieser Äußerung uneingeschränkt zu und fordert die Politiker auf allen Ebenen auf, das Instrument der Bauleitplanung nicht völlig aus der Hand zu geben, sondern es Maßvoll und mit Augenmaß weiterzuentwickeln.